Kurzgefasst
Ober- und unterirdische Biodiversität im Grünland reagieren unterschiedlich auf Bewirtschaftung und Landschaftskontext
Bisherige Untersuchungen, die sich mit dem Einfluss der Landnutzung auf die Biodiversität in der Kulturlandschaft beschäftigten, berücksichtigten meist nur einzelne Artengruppen (z. B. Pflanzen, Bestäuber oder Vögel) und konzentrierten sich auf bestimmte lokale Nutzungsfaktoren wie z. B. die Häufigkeit der Mahd oder den Düngereinsatz. Die Biodiversität im Boden und der Einfluss der Landschaft als mögliche Quelle für Arten, die eine Grünlandfläche nach Störung wiederbesiedeln können, wurde bisher kaum beachtet. Wissenschaftler:innen nutzten nun die umfangreichen Daten der Biodiversitäts-Exploratorien, um den Einfluss der Bewirtschaftungsintensität auf die oberirdische und unterirdische Biodiversität im Grünland mit der Landschaftszusammensetzung der näheren und weiteren Umgebung zu verschneiden. Während sich für die oberirdische Vielfalt ein negativer Einfluss einer intensiven Bewirtschaftung bestätigte, profitierte die unterirdische Vielfalt teilweise sogar von der Landnutzung. Den größeren Einfluss auf die Artenvielfalt konnte aber auf der Landschaftsebene nachgewiesen werden. Dabei profitieren oberirdische Artengruppen von einer Vielfalt an Habitaten, unterirdische Gruppen vor allem von einem hohen und stabilen Waldanteil in der Umgebung. Unterschiedliche Reaktionen von ober- und unterirdischen Artengruppen deuten darauf hin, dass aktuelle Naturschutzkonzepte, die sich überwiegend auf die oberirdische Artenvielfalt konzentrieren, der Bodenwelt kaum nutzen.
Ziel der Untersuchung von Le Provost et al. (2021) war eine umfassende und vergleichende Bewertung, wie sich verschiedene Aspekte der Landnutzung auf lokaler und landschaftlicher Ebene auf ober- und unterirdische trophische Gruppen auswirken.
Unterscheiden sich die Einflussfaktoren auf die Artenvielfalt verschiedener Nahrungsgruppen über und unter der Erdoberfläche? Welchen Einfluss hat die Zusammensetzung der Landschaft auf die ober- und unterirdische Artenvielfalt im Grünland? Welche Schlüsse können aus den Ergebnissen für einen ganzheitlichen Erhalt der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft gezogen werden?
- Für die Auswertung wurden die Daten von 150 Grünlandflächen (Wiesen und Weiden) genutzt, die im Rahmen der Biodiversitäts-Exploratorien in den drei Regionen Schorfheide-Chorin, Hainich-Dün und Schwäbische Alb untersucht werden.
- Auf 50 x 50 m großen Untersuchungsflächen wurden 10 verschiedene oberirdische und 10 verschiedene unterirdische Nahrungsgruppen mit unterschiedlichen Methoden erfasst. Zu den oberirdischen Gruppen zählten Primärproduzenten, oderirdische pathogene Pilze, Pflanzenfresser unter den Weichtieren, Insekten und Vögeln, bestäubende Insekten, Allesfresser unter den Weichtieren und Gliederfüßern, und räuberische Arten unter den Gliederfüßern und Wirbeltieren. Zu den unterirdischen Nahrungsgruppen zählten: arbuskuläre Mykorrhizapilze, unterirdische pathogene Pilze, zersetzende Pilze, zersetzende Bakterien, bakterienfressende Protisten, parasitische Protisten, allesfressende Protisten, sowie Zersetzer und räuberische Arten unter den bodenbewohnenden Gliederfüßern.
- Die Artenvielfalt der unterschiedlichen Nahrungsgruppen wurde mittels linearer Regressionsmodelle mit Einflussvariablen auf drei unterschiedlichen räumlichen Skalen in Beziehung gesetzt.
- Auf der Ebene der Untersuchungsfläche (50 x 50 m) wurden zunächst verschiedene Umweltfaktoren gemessen: der pH-Wert, der Tongehalt und die Bodenfeuchte (mittels eines Index). Als Maß für die lokale Bewirtschaftungsintensität wurde der sog. LUI-Index (Land-Use-Intensity-Index) berechnet. Dieser basiert auf jährlichen Informationen zur Stickstoffdüngung, Beweidung und Mahd. Extensiv genutztes Grünland (LUI von 0.5-0.7) ist i. d. R ungedüngt und ungemäht und beweidet mit 0.8 GVE/ha (ein Rind älter als 2 Jahre) für 30 Tage (oder ein Schaf/ha für das ganze Jahr). Eine mittlere Intensität (LUI von 1.5) ergibt sich z. B. für ungedüngte (oder Düngung mit < 30 kg N ha-1 y-1) und bis zu zweischürige Wiesen oder für Weiden mit einem Rind/ha für ca. 300 Tage. Die höchste lokale Bewirtschaftungsintensität (LUI von 3) im Rahmen der Biodiversitäts-Exploratorien weisen zwei- bis dreischürige Wiesen auf mit einer jährlichen Düngungsmenge von 60 bis 120 kg N ha-1 y-1, Weiden mit drei Rindern/ha für 300 Tage oder Mähweiden. Als lokale Bewirtschaftungsintensität pro Untersuchungsfläche wurde der mittlere LUI-Index zwischen 2006 und 2017 errechnet, zusätzlich wurde die interannuelle Variation der Bewirtschaftungsintensität pro Untersuchungsfläche zeitliche Variablität der Bewirtschaftung als Einflussvariable berücksichtigt.
- Auf der Ebene der Wiese oder Weide (= Radius bis 75 m um die Untersuchungsfläche) wurde die Heterogenität der Pflanzenartengemeinschaft berücksichtigt. Dabei wurden auch angrenzende Hecken, Feldränder und Wälder einbezogen, die im 75 m-Radius um das Zentrum einer Untersuchungsfläche vorhanden waren. Zusätzlich wurde überprüft, ob sich die Nutzung der entsprechenden Wiese oder Weide über die Zeit verändert hat. Dazu wurden topographische Karten der letzten 150 bis 200 Jahre ausgewertet.
- Die Ebene der Landschaft wurde im Umkreis von 500, 1000 und 2000 m um das Zentrum der Untersuchungsfläche betrachtet. Dazu wurde der Anteil von Wald und Grünland in den verschiedenen Radien errechnet sowie die Vielfalt an unterschiedlichen Formen der Landbedeckung. Dazu zählten neben Wald und Grünland auch Acker, Wasserflächen, Straßen und Siedlungen. Mit Hilfe der historischen topographischen Karten wurde außerdem die Beständigkeit von Wald und Grünland in der Landschaft überprüft.
- Es wurden für alle Nahrungsgruppen lineare Modelle geprüft mit den unterschiedlichen Einflussvariablen auf den unterschiedlichen Skalen: (i) Umweltfaktoren auf den Untersuchungsflächen, (ii) lokale Bewirtschaftungsintensität und -variablilität auf den Untersuchungsflächen, (iii) Heterogeneität der Pflanzenartengemeinschaft und Veränderung der Landnutzung über die Zeit auf den Wiesen und Weiden, in denen die Untersuchungsflächen eingebettet sind, und (iv) die Vielfalt der Landbedeckung, der Anteil von Wald und Grünland und die Beständigkeit von Wald und Grünland in näherer (500 m) und weiterer Umgebung (1000 bis 2000 m) um die Untersuchungsflächen
- Es wurden mehr als 4000 Arten berücksichtigt, die für wichtige Ökosystemleistungen wie Nährstoffkreislauf, Kohlenstoffspeicherung, Bestäubung oder biologische Schädlingsbekämpfung verantwortlich sind.
- Alle untersuchten Skalen hatten einen Einfluss auf den Artenreichtum ober- und unterirdischer Nahrungsgruppen. Die Einflussvariablen auf der Ebene der Untersuchungsflächen erklärten im Schnitt 24.1 (± 0) % der Varianz im Datensatz für oberirdische Gruppen und 15.3 (± 3.3) % für unterirdische Gruppen. Variablen auf der Ebene der Wiese bzw. Weide bis 75 m um die Untersuchungsfläche herum hatten mit jeweils 11.4 % (± 1.9 bzw. 3.0 %) insgesamt den geringsten Einfluss. Der Einfluss der Landschaftsvariablen war am größten mit 43.8 % (± 3.6%) für oberirdische Gruppen und 47.3 % (± 3.3 %) für unterirdische Gruppen.
- Die Untersuchung konnte unterschiedliche Reaktionen der ober- und unterirdischen Gruppen auf die lokale Bewirtschaftungsintensität nachweisen. Eine intensive Nutzung reduzierte die Artenvielfalt von 7 der 10 oberirdischen Gruppen (z. B. Primärproduzenten, pflanzenfressende Insekten und Vögel; Abbildung 1).
- Neutrale bzw. sogar positive Effekte einer intensiven Bewirtschaftung ergaben sich für unterirdische pathogene Pilze, parasitische Protisten und zersetzende Pilze (Abbildung 2). Unterirdische Artengemeinschaften sind im Gegensatz zu oberirdischen weniger direkt durch Mahd gestört, dazu kann eine Düngung die Ressourcenverfügbarkeit durch einen größeren Biomasseeintrag in den Boden erhöhen, was zu einer größeren Nischenvielfalt und Ko-Existenz von Arten führten kann.
- Auf Ebene der Wiese bzw. Weide wirkte sich die Heterogenität der Pflanzenarten-gemeinschaft positiv auf mobile oberirdische Gruppen wie bestäubende Insekten, Vögel (pflanzenfressend und räuberisch) und Fledermäuse (räuberisch) aus. Sie sind demnach auch auf eine Vielfalt von Habitaten in der unmittelbaren Umgebung angewiesen.
- Der stärkste Treiber sowohl für oberirdische als auch unterirdische Gruppen war aber die Landschaft bis 2 km um die Untersuchungsflächen. 6 der 10 oberirdischen Gruppen und 7 von 10 unterirdischen Gruppen wurden dabei durch die weitere Umgebung (> 500 m) um die Untersuchungsflächen beeinflusst (Abbildung 3).
- Dabei förderte ein hoher Anteil Wald in der Umgebung die Vielfalt verschiedener unterirdischer Gruppen (z. B. parasitische und allesfressende Protisten; Abbildung 2), während verschiedene (mobile) oberirdische Gruppen (z. B. bestäubende Insekten, pflanzenfressende Vogelarten) auf eine Vielfalt von Habitaten in der Landschaft angewiesen sind (Abbildung 1). Die Zersetzergemeinschaft im Boden (Bakterien und Pilze) scheint zudem auf die Beständigkeit von Wald bzw. Grünland in der Landschaft angewiesen zu sein (Abbildung 2).
- Die Ergebnisse zeigen, dass Ausbreitungsprozesse und eine Vernetzung unterschiedlicher Habitate auch für unterirdische Artengemeinschaften eine wichtige Rolle spielen und dass insbesondere Wälder, als stabile und vielfältige Habitate, wichtige Refugien zu sein scheinen, aus denen Arten Grünlandflächen z. B. nach Umbruch (wieder)besiedeln können.
- Die umfangreiche Studie belegt eine bisher vollkommen unbekannte Rolle der Landschaft für die unterirdische Artenvielfalt im Grünland und zeigt zudem, dass sich die lokale Bewirtschaftungsintensität gegensätzlich auf die Vielfalt ober- und unterirdischer Nahrungsgruppen auswirkt.
- Nach der vorliegenden Studie profitiert die oberirdische Vielfalt besonders von einer Reduktion der Bewirtschaftungsintensität und von vielfältigen Habitaten in unmittelbarer Umgebung und in der weiteren Landschaft. Die unterirdische Vielfalt profitiert dagegen von einer Intensivierung der lokalen Bewirtschaftungsintensität, und von einer Bewahrung von möglichst viel Wald (und auch Grünland) in der Landschaft.
- Da sich Naturschutzkonzepte in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft meist nur auf die oberirdische Biodiversität konzentrieren, besteht die Gefahr eines Artenverlustes im Boden. Schutzkonzepte sollten daher auch um den Boden und seine vielfältigen Lebensgemeinschaften erweitert werden, zumal die belebte Rhizosphäre ein entscheidender Faktor für eine produktive, nachhaltig nutzbare und multifunktionale Agrarlandschaft ist.
- Insgesamt lässt sich anhand der Ergebnisse schlussfolgern, dass der Schutz von vielfältigen und dauerhaften Habitaten (= Erhalt von Wald und Grünland) in der Kulturlandschaft sowohl für die Artengemeinschaften über als auch unter der Erdoberfläche von Bedeutung ist. Naturschutz- und Bewirtschaftungsmaßnahmen müssen aber insgesamt breiter aufgestellt werden, um auch die unterirdische Artenvielfalt stärker zu fördern. Dazu können auch intensiv bewirtschaftete Teilflächen innerhalb einer diversen Kulturlandschaft gehören, während eine Extensivierung von Teilflächen für die oberirdische Artenvielfalt besonders wichtig ist.
- Die Studie ist die aktuell umfangreichste, die die Reaktion der gesamten Artengemeinschaft im Grünland auf Landnutzungseffekte und Landnutzungsintensivierung zeigt und auch die Bedeutung einer Habitatvielfalt und -vernetzung für unterirdische Lebensgemeinschaften belegt. Aber gerade über den Einfluss der Landschaft auf den Boden ist das Wissen aktuell noch gering. Weiterer Forschungsbedarf besteht in vielfältigen Landschaften.
- Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die untersuchten Nutzungsintensitäten im Vergleich zu vielen anderen Regionen in der Welt als moderat einzustufen sind (siehe Methodenpapier), so dass sich die Ergebnisse möglicherweise nicht oder nur eingeschränkt auf Regionen mit viel höherer oder viel geringerer lokaler und/oder regionaler Nutzungsintensität übertragen lassen.