Kurzgefasst
Wählerische Totholzpilze: Forschende fanden unerwartete Vorlieben bei der Baumartenwahl
Pilze spielen bei der Zersetzung von Totholz eine Schlüsselrolle und sind essenzielle Bestandteile von stabilen Waldökosystemen. Das Wissen über die Diversität und mögliche Verbreitungsmuster der Pilzartengemeinschaften, die im Totholz leben, ist bis heute lückenhaft, da groß angelegte, replizierbare Feldexperimente bisher fehlten und auch die Nachweismöglichkeiten der Pilze im Totholz eingeschränkt waren. So galt bisher die Annahme, dass totholzbewohnende und -zersetzende Pilze (kurz: Totholzpilze) in temperaten Wäldern nicht spezifisch auf bestimmten Baumarten siedeln und keine engen Beziehungen zwischen den Arten bestehen.
Purahong et al. (2018) konnten mittels molekular-genetischer Methoden erstmals die lokale und regionale Diversität von Totholzpilzen aufdecken und zeigten, dass auch diese Pilzgruppen bestimmte Baumarten als Nahrungsressource und Habitat bevorzugen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse können Totholzkonzepte und Bewirtschaftungspläne angepasst werden, um die Diversität und Funktionalität unserer Waldökosysteme zu erhalten und zu fördern.
Gibt es Unterschiede in der Diversität von Totholzpilzen im Vergleich unterschiedlicher Laub- und Nadelholzarten?
Zeigen Totholzpilze Präferenzen für bestimmte Baumarten oder Baumartengruppen?
- Diversität (oder Biodiversität) beschreibt die Vielfalt des Lebens auf allen Ebenen seiner Organisation.
- Verschiedene Organisationsstufen können z. B. die Vielfalt der Gene, die Vielfalt von Arten bis hin zur Vielfalt ganzer Ökosysteme sein.
- In der vorliegenden Studie wurde die Diversität der Totholzpilze auf der Organisationsstufe von Operationalen Taxonomischen Einheiten, kurz OTE (auf Englisch: OTU für Operational Taxonomic Unit), untersucht. Mit dieser Benennung wird der Artbegriff, der eine wissenschaftliche Beschreibung der Arten voraussetzt, ausgeweitet, da viele der erfassten Pilze bisher nicht bekannt waren.
- Diversität kann auf verschiedenen räumlichen Skalen erfasst werden. Die Alpha-Diversität gibt den Artenreichtum pro Untersuchungsfläche oder eines Totholz-Baumstammes wieder und repräsentiert die lokale Vielfalt. Die Gamma-Diversität bildet den gesamten Artenreichtum aller Baumstämme einer Art innerhalb eines Waldgebietes oder einer Landschaft ab und repräsentiert die regionale Vielfalt. Die Beta-Diversität ist das Regional-zu-Lokal-Verhältnis der Vielfalt und zeigt die Veränderungen der Artenvielfalt zwischen den Baumstämmen einer Art in einer Region (“Arten-Turnover”).
- Beispiel: Die Alpha-Diversität auf zwei Eichenstämmen in einer Region A kann deutlich höher sein als in einer anderen Region B. Allerdings unterscheiden sich die vorkommenden Arten auf beiden Stämmen in Region B vollständig voneinander, so dass die Gesamtartenvielfalt der Region B höher liegt als die der Region A, in der sich die Artenzusammensetzung der Stämme nicht unterscheidet. In der Region B ist die hohe Beta-Diversität der entscheidende Treiber für die Gesamtartenvielfalt der Region und deutet auf eine größere Heterogenität z. B. hinsichtlich der Umweltbedingungen, denen die Stämme ausgesetzt sind, hin (Abbildung 1).
- Für die Studie wurden an drei Waldstandorten in Deutschland (Flächen der Biodiversitäts-Exploratorien) im Jahr 2009 frisch gefällte Stämme von verschiedenen Baumarten platziert und für drei Jahre der natürlichen Zersetzung überlassen. Insgesamt wurden hier sieben Laubbaumarten (Birke, Hainbuche, Buche, Esche, Pappel, Eiche und Linde) und vier Nadelbaumarten (Lärche, Fichte, Kiefer und Douglasie) untersucht.
- Die Baumstämme hatten durchschnittlich einen Durchmesser von 31 cm, waren 4 m lang und lagen in einem Abstand von einem Meter nebeneinander. Sie wurden alle in Thüringen geerntet und in die drei Untersuchungsregionen der Biodiversitäts-Exploratorien transportiert. Um die Diversität, Artenzusammensetzung und die Verteilungsmuster der Pilze im Holz zu erfassen, wurde das Totholz selbst beprobt (Entnahme einer Holzprobe mit Hilfe eines Holzbohrers), während sich frühere Studien auf das Sammeln von Fruchtkörpern konzentrierten.
- Mithilfe von Gensequenzierung wurden aus der im Holz vorhandenen rRNA Operationale Taxonomische Einheiten (kurz OTE) ausgelesen. Dabei handelt es sich nicht um Arten im engeren Sinne, da diese wissenschaftlich beschrieben werden müssten. OTE können in diesem Kontext ähnlich wie Arten gehandhabt werden.
- Die Alpha-Diversität der Totholzpilze in den einzelnen Baumarten sowie die Präferenzen für Baumarten wurden statistisch mit einem Kruskal-Wallis-Test, kombiniert mit einem Mann-Whitney U-Test sowie einer Analyse der Ähnlichkeiten (Analysis of similarity, kurz ANOSIM) ermittelt. Für die Gamma-Diversität wurden die OTE über die Baumstämme einer Baumart aufsummiert. Für die Beta-Diversität wurde das Verhältnis von Gamma- zu Alpha-Diversität pro Baumart ermittelt.
- Das besondere an dieser Studie ist der große Umfang, mit dem hier molekulare Untersuchungen durchgeführt wurden. Erstmals konnten elf Baumarten in direktem Vergleich beprobt und analysiert werden. Dabei wurden je Baumart insgesamt 27 Stämme über die drei Regionen beprobt (9 Stämme pro Exploratorien-Region), was in 297 Proben von Totholzstämmen resultierte. Damit sind die Ergebnisse statistisch sehr aussagekräftig.
- Insgesamt wurden 1254 OTE (Pilz-„Arten“) nachgewiesen, wobei sich pro Stamm im Mittel 22-42 Pilz-OTE befanden. 677 der OTE konnten der Gruppe der Schlauchpilze (Ascomycota; z. B. Morcheln, Hefe- oder Schimmelpilze) und 539 OTE der Gruppe der Ständerpilze (Basidiomycota; z. B. Porlinge) zugewiesen werden. Nur 38 OTE gehörten zu anderen taxonomischen Gruppen.
- Im Vergleich zu anderen Studien ist die hohe Anzahl der gefundenen Pilz-„Arten“ bemerkenswert. Die Probenentnahme des Totholzes selbst kann vegetativ lebende oder als Spore vorhandene Arten aufspüren und so die vorhandene Artengemeinschaft vollständiger repräsentieren als die Erfassung von Fruchtkörpern.
- Nadelbaumarten sowie Eichen, Eschen und Pappeln wiesen eine höhere Alpha- und Gamma-Diversität (Abbildung 2) auf als die anderen Laubbaumarten. Buchen- und Hainbuchenstämme zeigten im Vergleich der Baumarten eine geringe Alpha-Diversität, allerdings die höchste Beta-Diversität, also den höchsten Arten-Turnover zwischen den Plots bzw. Baumstämmen. Diese Muster der Diversität blieben auch bei der Trennung von Schlauch- und Ständerpilzen erhalten.
- Viele der Pilz-„Arten“ bevorzugten bestimmte Baumarten. Als Spezialist galt, wer auf maximal zwei Baumarten zu finden war. Auch in Baumarten mit ähnlicher Holzstruktur und ähnlichem Kohlenstoff-Stickstoff-Verhältnis (z. B. Eiche und Esche) siedelten sehr unterschiedliche Pilzgemeinschaften (Abbildung 3).
- Bei den Laubbaumarten waren mehr Pilz-„Arten (41 %) auf eine Baumart spezialisiert als bei den Nadelbaumarten (35 %).
- Die durchschnittliche Unähnlichkeit der Artengemeinschaften der Pilz-„Arten“ zwischen verschiedenen Holzarten war signifikant. Im paarweisen Vergleich war die Unähnlichkeit zwischen Laub- und Nadelbäumen am größten und zwischen den Nadelbaumarten am geringsten (Abbildung 4).
- Die gefundenen Muster waren über die unterschiedlichen Regionen und Pilzgruppen konsistent.
- Die Studie hat die Annahme widerlegt, dass Holzpilze überwiegend Generalisten sind. Dabei scheinen nicht die Holzeigenschaften für die spezifische Baumartenwahl entscheidend zu sein, sondern vielmehr eine gemeinsame evolutionäre Entwicklung und die Interaktion mit anderen Artengruppen (Pilze, Bakterien und Wirbellose) im Totholz.
- Die hohe Alpha-Diversität im Nadelholz, die hohe Spezifität im Laubholz und die höchste Unähnlichkeit der Pilzgemeinschaften im Vergleich von Laub- und Nadelholz unterstreicht das Potential einer Mischung von Laub- und Nadelbäumen in Waldlandschaften, um Produktivität und Biodiversität gleichermaßen zu fördern.
- Die Erkenntnis, dass auch Misch- und Nebenbaumarten wie Hainbuche, Linde oder Esche von Spezialisten besiedelt sind, zeigt die Bedeutung der Totholzvielfalt für die Artenvielfalt im Wald. Wo immer möglich sollten diese Begleitbaumarten in einzelnen Beständen und/oder ganzen Waldlandschaften als Totholz belassen werden.
- Ein angepasstes Totholzmanagement kann demnach dazu beitragen, auch die Vielfalt auf mikrobieller Ebene zu erhalten. Neben der Menge des Totholzes sollten auch die Baumarten, die im Wald zur Zersetzung verbleiben, diversifiziert werden.
- Der große Umfang der Studie zur Diversität der Totholzpilze, inklusive einer Wiederholung über unterschiedliche Regionen, ist methodisch sehr wertvoll und lieferte gänzlich neue Erkenntnisse zu einer bisher nur wenig untersuchten Artengruppe. Im Rahmen der Biodiversitäts-Exploratorien konnte so ein weiterer Aspekt der Vielfalt auf mikrobiologischer Ebene aufgedeckt werden.
- Die vergleichbaren Ergebnisse in allen drei Exploratorien-Regionen unterstreichen die allgemeine Gültigkeit der Befunde innerhalb der in den Biodiversitäts-Exploratorien untersuchten Rahmenbedingungen (siehe Methodenpapier).
- Die entdeckten Spezialisierungen auf einzelne Baumarten könnten jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass die Pilze aufgrund des Studiendesigns auf allen Untersuchungsflächen die ganze Bandbreite möglicher Ressourcen (alle Baumarten mit einem Abstand von 1 m zueinander) zur Verfügung hatten und so frei wählen konnten. In weiterführenden Untersuchungen könnte geklärt werden, ob spezialisierte Totholzpilze bei Ressourcenknappheit (z. B. in großflächigen Reinbeständen) auch in der Lage sind, andere Baumarten zu besiedeln.
- Zudem sind die Ergebnisse zunächst gültig für frühsukzessionale „Arten“. Mit fortschreitender Zersetzung können sich auch die Pilzartengemeinschaften und ihre Spezialisierung ändern.