Kurzgefasst
Artenzahl und Biomasse der Insekten ging auch im Wald deutlich zurück
Berichte über einen massiven Rückgang von Insekten haben zu einem Bewusstseinswandel in Gesellschaft und Politik geführt. Während ein Rückgang auf intensiv bewirtschafteten Agrarflächen nicht überrascht, konnten Seibold et al. (2019) zeigen, dass auch weniger intensiv bewirtschaftete Ökosysteme betroffen sind. Ihre Auswertung von wiederholten Inventuren auf den Untersuchungsflächen der Biodiversitäts-Exploratorien ergab, dass seit 2008 sowohl im Grünland als auch in bewirtschafteten und unbewirtschafteten Wäldern die Vielfalt und Menge an Arthropoden (Gliederfüßer) zurückgegangen ist. Während der Rückgang im Grünland durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung in der Umgebung erklärt werden konnte, ist im Wald wohl ein Zusammenspiel von Faktoren auf der Bestandes- und Landschaftsebene verantwortlich.
Kann ein Rückgang der Arthropoden (Gliederfüßer) in Artenzahl, Individuenzahl und Biomasse auch für die Untersuchungsflächen der Biodiversitäts-Exploratorien im Wald und im Grünland nachgewiesen werden? Wenn ja, liegen mögliche Ursachen auf der Landschaftsebene?
- Es erfolgten standardisierte Inventuren von Arthropoden (Gliederfüßer) auf 30 (jährlich) bzw. 140 (alle drei Jahre) Waldflächen und auf 150 Grünlandflächen (jährlich) der Biodiversitäts-Exploratorien (in den Regionen Schorfheide-Chorin, Hainich-Dün und Schwäbische Alb).
- Im Wald wurden die Insektengruppen Käfer (Coleoptera) und Wanzen (Heteroptera) über die gesamte Vegetationsperiode (März bis Oktober) zwischen 2008 und 2016 mit Hilfe von Kreuzfensterfallen in ca. 2 m Höhe gefangen, bestimmt und nach trophischen Ebenen und Ausbreitungsvermögen (Mobilität) unterteilt. Im Grünland erfolgte die Sammlung von 2008-2017 mit Streifkeschern 2mal im Jahr (Juni und August). Neben den Käfern und Wanzen wurden hier auch Zikaden (Auchenorrhyncha), Webspinnen (Araneae) und Heuschrecken (Orthoptera) bis auf Artebene bestimmt und ebenfalls in trophische Ebenen und nach ihrem Ausbreitungsvermögen unterteilt.
- Mit Hilfe von Korrelations- und Regressionsmodellen wurden unter Berücksichtigung des Wettereinflusses pro Jahr folgende mögliche Einflussgrößen auf die Entwicklung der Populationen im Wald und Grünland untersucht: Bewirtschaftungsintensität auf den einzelnen Untersuchungsflächen (lokale Nutzungsintensität) sowie Anteile von Wald, Grünland und Ackerland im Umkreis von 250 – 2.000 m um die Untersuchungsflächen herum (regionale Nutzungsintensität; Darstellung der Ergebnisse für einen Umkreis von 1.000 m)
- Als Maß für die lokale Nutzungsintensität im Grünland wurde der sog. LUI-Index (Land-Use-Intensity-Index) berechnet. Dieser basiert auf jährlichen Informationen zur Stickstoffdüngung, Beweidung und Mahd. Extensiv genutztes Grünland sind oftmals ungedüngte und ungemähte Schafweiden. Eine mittlere Intensität ergibt sich für ungedüngte, einschürige Wiesen oder für Weiden mit vier Rindern/ha für ca. 50 Tage. Die höchste lokale Nutzungsintensität weisen zwei- bis dreischürige (maximal vierschürige) Wiesen auf, Weiden mit fünf bis zehn Rindern/ha für 100 bis 150 Tage oder Mähweiden.
- Im Wald ergab sich ein Bewirtschaftungsgradient durch die Berücksichtigung aktuell nicht mehr bewirtschafteter Buchenwälder, bewirtschafteter Buchen- und Buchenmischwälder und bewirtschafteter Nadelwälder (hauptsächlich Kiefer und Fichte). Ein kontinuierlicher Landnutzungsgradient analog zum Grünland wurde durch die Berücksichtigung vorangegangener Ernten, dem Anteil standortsfremder Baumarten und der Herkunft des Totholzes (Totholz mit Sägespuren im Verhältnis zum Gesamttotholz) errechnet. Außerdem wurde die Baummortalität unter Berücksichtigung von Ernte und natürlicher Mortalität berechnet.
(für detailliertere Ergebnisse dieser Arthropodenstudie im Grünland siehe hier)
- Auf den insgesamt 140 Waldflächen wurden rund 118.000 Individuen und rund 1.600 Arten über den gesamten Untersuchungszeitraum erfasst (Wald und Grünland zusammen: rund 2.675 Arten)
- Die Gamma-Diversität (= Artenzahl aufsummiert über alle Untersuchungsflächen) der untersuchten Arthropoden nahm sowohl im Grünland als auch im Wald deutlich ab (Abbildung 1).
- Im Wald gingen die Gamma-Diversität und Biomasse um rund 36 % bzw. 41 % zurück. Der Rückgang betraf v. a. die trophischen Ebenen Zersetzer, Allesfresser und Räuber. Pflanzenfresser zeigten eine Zunahme in Individuenzahl und Artenzahl. Die Individuenzahl insgesamt änderte sich nicht signifikant über den Untersuchungszeitraum, was durch die steigende Individuenzahl bestimmter Arten, darunter invasive Arten und mögliche Schädlinge (z. B. Schwarzer Nutzholzborkenkäfer, Buchennutzholzborkenkäfer), erklärt werden kann, die dem allgemein rückläufigen Trend entgegenwirken.
- Auch im Zusammenhang mit der Mobilität der Arten zeigten sich Unterschiede im Wald. Während Artenzahl, Biomasse und Abundanz ausbreitungsstarker Arten zurückgingen, nahmen Abundanz und Biomasse wenig mobiler Arten zu – dies aber umso weniger, je mehr Grünland das Umland aufwies.
- Der Rückgang an Insekten war sowohl in bewirtschafteten Wäldern als auch in aus der Nutzung genommen Wäldern zu beobachten. Je höher jedoch die Baummortalität (Ernte und natürliches Absterben) war, desto geringer war die Abnahme der Artenzahl (Abbildung 2).
- Der vieldiskutierte Insektenrückgang betrifft nicht nur Acker- und Grünlandflächen, sondern auch den Wald. Die erfassten Fluktuationen in Artenzahlen, Individuenzahlen und Biomassewerten auf den Untersuchungsflächen der Biodiversitäts-Exploratorien verbunden mit einem deutlichen Rückgang über die Zeit bestätigen dabei andere Untersuchungen und deuten auf einen langfristigen und überregionalen Trend hin, der schon mindestens seit Beginn der 1990er Jahre anhält.
- Der Rückgang v.a. mobilerer Arten im Wald, die möglicherweise häufiger mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen, deutet daraufhin, dass die Nutzungsintensität auf der Landschaftsebene auch für den Insektenrückgang im Wald (mit-) verantwortlich ist. Ein direkter Einfluss der Umgebung konnte, anders als in Grünland, jedoch nicht festgestellt werden.
- Der beobachtete Einfluss der Baummortalität lässt vermuten, dass eine Erhöhung der Heterogenität auf der Bestandesebene (z. B. durch die Schaffung von Kronenlücken oder durch natürliche Störungen) einem Artenrückgang entgegenwirken kann.
- Auch wenn die genauen Treiber des Artenrückganges im Wald noch unklar sind, sollten Konzepte zur Landnutzung und zur Waldbewirtschaftung auf lokaler und regionaler Skala skalenübergreifend entwickelt und koordiniert werden, um den Artenrückgang aufzuhalten.
- Die Studie berücksichtigte flugfähige Insekten im Wald, die in Strauchschichthöhe gefangen wurden. Der Einfluss eines vielschichtigen Kronendachs wird so möglicherweise nicht vollständig erfasst.
- Aufgrund unterschiedlicher Fangmethoden und berücksichtigter Artengruppen repräsentieren die absoluten Artenzahlen von Wald und Grünland nicht mögliche Unterschiede in der Arthropodenvielfalt dieser beiden Ökosysteme.
- Es bleibt weiterhin unklar, wie eine intensive landwirtschaftliche Nutzung in der Umgebung negativ auf die Artenvielfalt wirkt. So können u. a. Pestizide aber auch die großflächigen Flurbereinigungen mit einem Verlust kleinflächiger Habitate (z. B. Feldgehölze, Feldränder) in der Vergangenheit ursächlich sein.
- Die Ergebnisse bestätigen einen Trend, der sehr wahrscheinlich auf ganz Deutschland und weite Teile Europas zutrifft. Dennoch sollten zwei Aspekte berücksichtigt werden: 1) Der beobachtete Rückgang gilt für die Summe der hier untersuchten Arten bzw. Artengruppen und Regionen. Die Entwicklung auf kleinerer räumlicher Skala wie z. B. einzelne Bestände oder Waldgebiete (Alpha-Diversität) kann deutlich von der hier aufgezeigten mittleren Entwicklung der Gamma-Diversität abweichen – positiv wie negativ, 2) Die untersuchten Nutzungsintensitäten sind im Vergleich zu vielen anderen Regionen in der Welt als moderat einzustufen (s. Methodenpapier), so dass sich die Ergebnisse möglicherweise nicht oder nur eingeschränkt auf Regionen mit viel höherer oder viel geringerer lokaler und/oder regionaler Nutzungsintensität übertragen lassen. Gleiches gilt für die Übertragbarkeit von den hier untersuchten unbewirtschafteten Wäldern auf Regionen mit Primärwäldern oder schon sehr lange (> 100 Jahre) aus der Nutzung genommenen Wäldern.