Wissenstransfer 2.0 – Biodiversitätsforschung zum Schutz der Biodiversität wirksam werden lassen
Der Erhalt von Wäldern und ihre nachhaltige Bewirtschaftung werden in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zunehmend als ein effektives Instrument sowohl zum Schutz der Biodiversität als auch zum Schutz des Klimas angesehen. Damit kommt der Multifunktionalität von Wäldern eine immer größer werdende Bedeutung zu. Je größer die Erwartungen an den Wald und die Forstwirtschaft werden, umso deutlicher werden aber auch die Grenzen ihrer Mulitfunktionalität. Grund hierfür ist, dass zwischen den vielfältigen Ökosystemfunktionen und Maßnahmen zu ihrem Schutz oder ihrer Nutzung nicht nur Synergien, sondern auch Konflikte bestehen. Als Beispiele seien die Synergie zwischen Bestandesstabilität und Strukturvielfalt genannt, und der Konflikt zwischen Arten, die das ausgeglichene, feuchte Mikroklima dichter, alter Wälder benötigen und Arten, die auf viel Licht und Wärme in größeren Bestandeslücken oder unter einem lichten Kronendach angewiesen sind.
Ein Hauptziel der Biodiversitäts-Exploratorien (BE) ist es, die komplexen Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Ökosystemfuntionen (der Begriff beinhaltet sowohl Ökosystemprozesse als auch Ökosystemleistungen) und Bewirtschaftung besser zu verstehen und die Folgen unterschiedlicher Bewirtschaftungsoptionen für die Biodiversität und damit verbundene Ökosystemprozesse auf verschiedenen räumlichen Skalen aufzeigen. Dies kann helfen, Synergien und Konflikte zwischen Ökosystemfunktionen und Bewirtschaftungszielen zu identifizieren und der Praxis dringend benötigte Entscheidungshilfen an die Hand zu geben.
Im Wissenstransferprojekt der Biodiversitäts-Exploratorien (BE) möchten wir den Austausch von Ergebnissen, Wissen und Erfahrungen zwischen den BE und der Praxis von Forstwirtschaft und Naturschutz fördern und somit die Forschungsergebnisse der BE für den Schutz der Biodiversität und die Menschen nutzbar machen. Um dies zu erreichen, möchten wir insbesondere:
- die Forschungsergebnisse der BE praxisorientiert vermitteln,
- die kontinuierliche und direkte Kommunikation zwischen Wissenschaftler:innen und Praktikern:innen aus Naturschutz, Forst und Jagd unterstützen,
- das Wissen, die Erfahrungen und die offenen Fragen der Praxis in die Forschung der BE einbinden.
Aufbauend auf den Ergebnissen der vorhergehenden Projektphase der Biodiversitäts-Exploratorien (BE; siehe Ergebnisse) umfasst das aktuelle Projekt „Transfer 2.0“ drei Arbeitspakete (engl. workpackages, WP; Abb. 1):
- Transdiziplinäre Forschungsprojekte
- Analyse der wichtigsten Triebkräfte für die Biodiversität im Wald
- Kontinuierlicher bilateraler Wissenstransfer
WP 1 – Transdisziplinäre Forschungsprojekte
In der vorangegangenen Phase haben wir im Rahmen einer Umfrage unter Akteuren aus Forstwirtschaft und Naturschutz, von Interviews und Workshops nach Themen und Forschungsfragen gefragt, die in der Praxis eine hohe Aktualität und Relevanz haben und in Forschungsprojekten der BE aufgegriffen werden sollten. Aus den resultierenden 49 Fragen haben wir für das WP 1 drei Fragen aufgegriffen, die wir zusammen mit regionalen Akteuren der drei Exploratorien-Regionen bearbeiten möchten.
1.1 Vergleich der BE-Daten mit ähnlichen Daten, die in benachbarten Flächen der Schutzgebiete in den Exploratorien-Regionen erhoben wurden, um allgemeingültige Muster oder Grenzen der Übertragbarkeit von Ergebnissen zu identifizieren
1.2 Bewertung der Rolle von Alt- und Habitatbäumen und ihres Erhalts für die Biodiversität, die Holzproduktion und die Betriebseinnahmen
1.3 Identifizierung von Baumarten im Rahmen der BE-Flächenkulisse, die auch vor dem Hintergrund des Klimawandels wahrscheinlich vital bleiben und mit einer hohen Artenvielfalt assoziiert sind
WP 2 – Triebkräfte für die Biodiversität im Wald
Ergebnisse der letzten Phase zeigten, dass Waldbewirtschaftung ein wichtiger Treiber der Biodiversität auf Landschaftsebene ist. So war z. B. in der Region Hainich-Dün die Gamma-Diversität in Buchen-Altersklassenwäldern, die aus Schirmschlag entstanden sind und verschiedene Altersphasen berücksichtigten, höher als in Buchen-Plenterwäldern (Schall et al. 2018 J. Appl. Ecol. 55: 267-278). Interviews mit Akteuren in den drei Regionen machten zudem deutlich, dass die Vielfalt der Waldbewirtschaftung (z. B. Baumartenwahl, Bewirtschaftungsform, Bewirtschaftungsgeschichte) eng mit der Vielfalt der naturräumlichen Gegebenheiten einer Landschaft und den Besitzstrukturen verknüpft sein kann. So kann eine naturräumlich heterogene Landschaft zu einer kleinflächigen Besitzstruktur und somit zu einer Vielfalt an Bewirtschaftungsformen beigetragen haben, die nicht nur die Baumartenwahl betrifft, sondern auch die Motivation der Waldbesitzenden in Hinblick auf Tradition und gesellschaftliche Verantwortung. In diesem Arbeitspaket wollen wir die drei genannten Faktoren verschneiden und mit verschiedenen Komponenten der organismischen Biodiversität (Alpha-, Beta- und Gamma-Diversität) in Beziehung setzen. Dies soll in vier Schritten erfolgen:
2.1 Analyse der Beziehung zwischen der naturräumlichen Vielfalt der Landschaft und der organismischen Vielfalt.
2.2 Analyse der Beziehung zwischen Besitzstruktur (z. B. Eigentumsverhältnisse, Betriebsgröße) und organismischer Vielfalt.
2.3 Analyse des Einflusses früherer Bewirtschaftungsmethoden (innerhalb der letzten 50 Jahre) auf aktuelle Waldstrukturen und die organismische Vielfalt
2.4 Analyse von Interaktionen zwischen diesen Einflussfaktoren und Quantifizierung ihrer relativen Triebkraft für die organismische Vielfalt auf unterschiedlichen räumlichen Skalen (vom Plot bis zur Landschaftsebene).
WP 3 – Kontinuierlicher, bilateraler Wissenstransfer
Um einen Wissenstransfer zu verstetigen, sollen praxis-relevante Ergebnisse der BE der forstlichen und naturschutzfachlichen Praxis regelmäßig zur Verfügung gestellt werden. Dabei wollen wir gemeinsam mit dem zentralen Koordinationsbüro (BEO) und den lokalen Managementteams (LMTs) der drei Exploratorien-Regionen effektive Kommunikationswege etablieren, die von Seiten der Praxis als zielführend genannt wurden.
Zu diesen Kommunikationswegen gehören:
3.1 Regelmäßige Bereitstellung praxis-relevanter Ergebnisse über die (zukünftige) Wissenstransfer-Seiten der BE-Homepage in Kombination mit einem digitalen Newsletter und einem Netzwerk an Multiplikatoren aus den Bereichen Naturschutz, Forstwirtschaft und Jagd
3.2 Beiträge zu lokalen Informationsveranstaltungen und Exkursionen mit aktuellen praxis-relevanten Ergebnissen und Workshops zur Vertiefung praxis-relevanter Biodiversitätsthemen
3.3 Initiierung zukünftiger transdisziplinärer Projekte, deren Ziele sich aus aktuellen Fragen der Praxis und der Biodiversitätsforschung ergeben. In diesen Projekten soll das Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, in dem Waldeigentümer:innen und Mitarbeiter:innen in Forstwirtschaft und Naturschutz alltäglich agieren, schon in der Planungsphase berücksichtigt werden.
Mit dem Start eines Wissenstransferprojektes innerhalb der Biodiversitäts-Exploratorien (BE) im Jahr 2017 wollten wir einen verstärkten Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in den drei Regionen der BE und darüber hinaus initiieren und etablieren. Dafür konzentrierten wir uns zunächst auf vier Schwerpunkte:
- Praxis-relevante und regionen-spezifische Auswertung von Daten der BE, um einen Transfer auf bewirtschaftungsrelevante Skalen zu ermöglichen
- Beurteilung des bisherigen Transfers von Ergebnissen der BE in die forstliche und naturschutzfachliche Praxis
- Identifizierung von Kommunikationswegen, um den (beidseitigen) Wissenstransfer zwischen den BE und der Praxis zu verbessern
- Evaluierung aktueller praxis-relevanter Fragen bzw. Themenbereiche, die im Rahmen zukünftiger Forschungsprojekte bearbeitet werden sollten
Die Punkte 2 bis 4 wurden mit Hilfe einer Umfrage unter Akteuren aus Forstwirtschaft und Naturschutz, von Interviews und Workshops untersucht.
1. Praxisbezogene Auswertungen von BE-Daten
Praxis-relevante Auswertungen erfolgten in enger Zusammenarbeit mit dem Kernprojekt „Waldstruktur“. Wir untersuchten (1) den Einfluss unterschiedlicher Bewirtschaftungssysteme der Buche (Altersklassenwald, Plenterwald, seit einigen Jahrzehnten unbewirtschafteter Wald) auf die Biodiversität in der Exploratorien-Region Hainich-Dün und (2) den Einfluss bestandesweiser Mischungen von Buche und Nadelhölzern (Fichte bzw. Kiefer) auf die Biodiversität im Vergleich zu entsprechenden Reinbeständen auf der Landschaftsebene in den Exploratorien-Regionen Schwäbische Alb und Schorfheide-Chorin.
Unsere Ergebnisse untermauern die Bedeutung diverser Waldlandschaften für die Biodiversität, wie sie z. B. durch ein Mosaik unterschiedlicher Altersphasen eines Altersklassenwaldes (Abb. 2, links) oder durch ein Mosaik unterschiedlicher Reinbestände aus Buche und Nadelhölzern entstehen (Abb. 2, rechts) können. Seit im Schnitt drei Jahrzehnten unbewirtschaftete Wälder, wie sie im Nationalpark (NP) Hainich untersucht werden, zeigen nicht die insgesamt höchste Artenvielfalt, bereichern aber die Vielfalt spezifischer Artengruppen (z. B. totholzzersetzende Pilze, Vögel) und sollten fester Bestandteil derartiger Waldlandschaften sein.
2. Bisheriger Transfer in die forstliche und naturschutzfachliche Praxis
Zur Analyse des bisherigen Transfers und zur Identifizierung effektiver Kommunikationswege wurde eine Umfrage unter Akteuren der forstlichen und naturschutzfachlichen Praxis und den Wissenschaftler:innen der BE durchgeführt (Tab. 1).
Wir konzentrierten uns dabei auf regionale Akteur:innen, die direkten oder indirekten Einfluss auf Bewirtschaftungsentscheidungen im Wald haben wie z.B. Repräsentant:innen unterschiedlicher Waldbesitzarten, alle Verwaltungsebenen des öffentlichen Waldes und des Naturschutzes sowie Repräsentant:innen von Nichtregierungsorganisationen.
Tab. 1. Beteiligung an der Umfrage im Frühjahr 2018
Praxis | Wissenschaft | |
Anzahl verteilter Fragebögen (n) | 736 | 174 |
Verhältnis Forst / Naturschutz | 85 / 15 | |
Gültige Antworten (n (%)) | 165 (22) | 52 (30) |
Nur 58 % der befragten regionalen Akteure aus der Praxis kannten die Biodiversitäts-Exploratorien. Über 60 % dieser Befragten bewerteten den bisherigen Transfer als mangelhaft oder als nicht erfolgt (Abb. 3). Die Antworten der Wissenschaftler:innen ergaben ein ähnliches Ergebnis.
Die meisten Akteure haben über ihre berufliche Tätigkeit von den BE erfahren, gefolgt von persönlichen Gesprächen mit Wissenschaftler:innen der BE, lokalen Informationsveranstaltungen, gedruckten Informationsmaterialien und dem zuständigen Forstamt.
Als Haupthemmnisse für einen erfolgreichen Transfer nannten beide Gruppen eine fehlende Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis (52 % der Praktiker:innen und 72 % der Wissenschaftler:innen) und eine unzureichende Vermittlung von Ergebnissen in die Praxis (54 % und 56 %). Auch eigene Rahmenbedingungen in der Praxis (z. B. verwaltungsrechtlich) und Wissenschaft (z. B. Zeitverträge) wurden als einschränkende Kriterien genannt.
59 Teilnehmende aus der Praxis stimmten einem Folgeinterview zu. 36 Personen wurden bislang befragt.
3. Effektive Maßnahmen, um den (beidseitigen) Wissenstransfer zu verbessern
Aus der Umfrage erhielten wir viele Anregungen, um den (beidseitigen) Wissenstransfer in Zukunft zu verbessern. Die Anregungen wurden im Rahmen der Interviews und von Workshops konkretisiert.
Bevorzugte Medien und Kommunikationswege sind:
- Informationsveranstaltungen und Exkursionen vor Ort. Sie sollen der Vermittlung und Erläuterung der Forschungsergebnisse dienen und die Möglichkeit zu persönlichen Kontakten, Rückfragen und Diskussion bieten.
- Internetseite, auf der kurz und prägnant und in allgemein verständlicher Sprache die praxisrelevanten Ergebnisse der BE vorgestellt werden.
- Elektronischer Newsletter, der schlagwortartig auf neue Forschungsergebnisse hinweist, die auf der Internetseite ausführlich dargestellt werden.
- Persönliche Kommunikation über E-Mails oder im Rahmen von Workshops, die auch das Einbringen praktischer Erfahrungen und aktueller Fragestellungen aus der Praxis in die Wissenschaft ermöglichen
- Publikationen in deutschsprachigen, praxisnahen Fachzeitschriften
4. Evaluierung aktueller praxis-relevanter Fragen für zukünftige Projekte
Weiteres Ziel der Umfrage und Interviews war die Zusammenstellung wichtiger und aktueller praxis-relevanter Fragen, die in zukünftigen Forschungsprojekten aufgegriffen werden sollten. Auch hier fand eine Konkretisierung im Rahmen von Workshops und Diskussionen mit den Anwendungspartnern statt.
Wir ermittelten 49 Forschungsfragen, die den folgenden drei Schwerpunkten zugeordnet werden können:
I. Bewirtschaftungseffekte auf die Biodiversität
a) Auswirkung verschiedener Bewirtschaftungsregime inklusive der Nicht-Bewirtschaftung
b) Einfluss von Alt- und Habitatbäumen
II. Biodiversität und Klimawandel
III. Sozio-ökologische Bewertung der Biodiversität sowie Aspekte der Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz
Die Fragen wurden den Wissenschaftler:innen der BE und weiteren potentiellen Antragsteller:innen für neue Projekte innerhalb der BE zur Verfügung gestellt.
Weitere Ergebnisse der Umfrage, Interviews und Workshops finden Sie auf den Wissenstransferseiten “Praxis.Wissen“. Diese Seiten sind aus den Anregungen und Wünschen der Teilnehmer:innen heraus entstanden.
- Dr. Jan Engel (Landeskompetenzzentrum Forst, Eberswalde)
- Dr. Martin Flade, Dr. Benjamin Herold (Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin)
- Dirk Fritzlar (Staatliches Forstamt (FoA) Hainich-Werratal)
- Manfred Großmann, Andreas Henkel (Nationalpark Hainich)
- Dr. Volker Häring (Biosphärengebiet Schwäbische Alb)
- Matthias Kiess (Kreisforstamt Reutlingen)
- Elger Kohlstedt (FoA Leinefelde)
- Achim Otto (FoA Heiligenstadt)
- Ingolf Profft (Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha)
- Jörg Willner (Forst und Landschaftspflege, Stadt Mühlhausen)